Die Solidarität ist nach wie vor gross

Am Freitag jährte sich der Krieg zum ersten Mal. Auf dem Postplatz wurde mit einer Mahnwache friedlich demonstriert. Bild: Charly Keiser
Am 24. Februar 2022 startete Russland den Angriffskrieg gegen die Ukraine. Millionen flüchteten in den Westen. Wie sieht die Situation im Kanton Zug heute aus?
Von: Patrick Caplazi
Am liebsten würden sie zurück in ihre Heimat. Doch das geht in den meisten Fällen nicht, denn in ihrem Land herrscht Krieg. Am 24. Februar 2022 begann Russland mit seinem Angriff. Seither fallen täglich Bomben, unschuldige Menschen werden getötet. Das Statistische ist schnell zusammengefasst: Im Kanton Zug leben derzeit 896 Geflüchtete. 325 fanden bei Privatpersonen eine Bleibe, 521 leben in Unterkünften des Kantons. Per 31. Dezember 2022 haben 265 Personen den Kanton Zug wieder verlassen. Doch hinter den Zahlen stehen Schicksale, Trennungen und Wut.
Was hat sich verändert, wo liegen die Herausforderungen?
Zu Beginn der Flüchtlingswelle waren Bund und Kantone stark gefordert. Die Abläufe sind nach anfänglichen Unklarheiten nun eingespielt, Zuständigkeiten geklärt. Im Kanton Zug ist Caritas Luzern für die Begleitung der Gastfamilien zuständig. Die Freiwilligenarbeit wird vom Kanton, Benevol Zug und vor allem von den Gemeinden koordiniert. «Die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ist noch immer sehr hoch», sagt Regierungsrat und Vorsteher der Direktion des Innern, Andreas Hostettler.
Es ist unklar, wie lange der Krieg noch dauert. Das Spannungsfeld zwischen Rückkehrorientierung und Integration ist ein Merkmal des Schutzstatus S. Der Kanton Zug hat eine Strategie für die Integration entwickelt, die laufend angepasst wird: Gefördert werden bei Erwachsenen ausschliesslich Sprachkurse zur beruflichen Integration. Wer arbeitet oder in Ausbildung ist, erhält im Einzelfall staatliche Unterstützung im Kinderbetreuungsbereich. Der Schuleintritt der Kinder wird mit vorgelagerten Massnahmen – wie etwa Spielgruppen – unterstützt.
Viel zu diskutieren gab und gibt die Anrechnung des Verdienstes durch Arbeit an die Sozialhilfe. Mit Einkommen verringert sich die staatliche Sozialhilfe. Das Vorgehen der Behörden im Vollzug stiess bei Betroffenen nicht immer auf Verständnis. Ein Beispiel: Derzeit nutzen einige Ukrainerinnen und Ukrainer das eigene Auto und beziehen dennoch Sozialhilfe. In Abstimmung mit der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren wird dies zwölf Monate nach Ankunft nicht mehr möglich sein. Ausnahmen sind vorgesehen: Beispielsweise wenn das Auto für die Berufsausübung oder aus gesundheitlichen Gründen dringend benötigt wird.
Die allgemeine Situation im Kanton Zug wird in einem Zweiwochenrhythmus analysiert, die notwendigen Massnahmen werden eingeleitet. Zur Situation bei den kantonalen Unterkünften sagt Hostettler: «Aktuell verfügt der Kanton Zug noch über freie Betten. Wir sind jedoch weiterhin gefordert, zusätzliche Unterkünfte bereitzustellen und personelle Ressourcen für die Betreuung aufzubauen.» Insbesondere Letzteres sei angesichts des akuten Fachkräftemangels immer schwieriger.
Wie geht es den 264 Kindern und Jugendlichen heute?
Rund 170 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine besuchen die gemeindlichen Schulen im Kanton Zug. Die allermeisten Kinder sind derzeit in Regelklassen integriert und erhalten zusätzlich Deutschunterricht. Andere Kinder besuchen Auffangklassen, bis auch ihre Deutschkenntnisse eine Integration in den Regelbetrieb ermöglichen. «Die Schulen zeigen eine grosse Solidarität und Flexibilität, um dieser Situation gerecht zu werden», so Hostettler weiter. Viele Kinder und Jugendliche hätten sich bereits bestens in ihren Klassen integriert und fühlten sich wohl. «Einige wenige haben Mühe, sich zu integrieren. Da braucht es eine zielführende Kommunikation mit viel Fingerspitzengefühl.» Neben dem Besuch der Schulen nehmen ukrainische Kinder zum Teil auch am Online-Unterricht aus der Ukraine teil. «Die Prioritäten richtig zu setzen, ist oft nicht einfach, da für alle Kinder die Schulpflicht an einer gemeindlichen Schule besteht», ergänzt Hostettler. Zudem wissen die Kinder nicht, wie lange sie noch in der Schweiz sein werden. Dies sorgt für Verunsicherung und ist für eine erfolgreiche Integration hemmend.
So sieht die Situation bei den Gastfamilien aus
325 Personen leben derzeit bei Gastfamilien. Eine solche Unterbringung ist für alle Seiten anspruchsvoll. Zu den Herausforderungen zählen zum Beispiel unterschiedliche Erwartungen an das Zusammenleben, kulturelle Unterschiede, belastende Situationen und Traumata. «Auch wenn es aufgrund der genannten Themen zu schwierigen Situationen kommt, erleben wir die Mehrheit der Gastfamilien wie auch die Gäste als lösungsorientiert bei der Herangehensweise an schwierige Situationen», sagt Monika Lüscher, Leiterin Integrationsangebote, Soziale Integration der Caritas Luzern. «Wir versuchen vor einer Platzierung in einer Gastfamilie möglichst die Erwartungen beider Parteien zu klären und ihnen ein realistisches Bild von dieser Wohnform zu geben. Danach findet meist ein erstes Treffen zwischen den Gastfamilien und den potenziellen Gästen statt. Wenn es sich beide Parteien nach diesem Treffen weiterhin vorstellen können, zusammenzuwohnen, kommt es zu einer Platzierung», so Lüscher. Die Caritas Luzern schliesst mit den Gastfamilien und Gästen jeweils Gastfamilienvereinbarungen – eine Art Untermietvertrag – ab. Mit einer Mindestdauer von drei Monaten, die meist eingehalten werden kann.
Schwierigkeiten und Herausforderungen
Am Anfang der Krise gab es viele organisatorische Fragen zu klären. Viele Entscheidungen wurden laufend getroffen und es wurde reagiert auf die Schwierigkeiten und Herausforderungen, die sich täglich zeigten.
Heute hat sich die Situation in dieser Hinsicht beruhigt. So findet man viele Fragen und Antworten beispielsweise auf der Website des Kantons Zug oder derjenigen des Staatssekretariats für Migration. «Viele Gastfamilien sind jedoch zum ersten Mal so intensiv mit komplexen Themen aus dem Flüchtlingsbereich konfrontiert und hier bedarf es Aufklärungsarbeit.»